Das ist die Geschichte von, nennen wir sie mal so, Ruby Tuesday. Ruby war eines von vielen traurigen, geschundenen Pferden, die Ihr Dasein irgendwo an einem weniger privilegierten Plätzchen in Europa fristeten. Angeblich musste sie hart am Feld arbeiten, und als sie dafür zu krank war, siechte sie, angebunden an einem Strick, alleine vor sich hin. Ihre Beine waren zu diesem Zeitpunkt von Rehe bereits zerstört, Ihre Augen entzunden, und die Rippen konnte man aus weiter Ferne
zählen.
Trotz allem näherte sich ein Lichtstreif für sie am Horizont. In Österreich wurde ein braves Reitpferd für eine ängstliche Reiterin gesucht, ein bisschen Ausreiten und Liebhaben, das würde Ruby schon schaffen. Über Umwege wurde Ruby aufgefunden, und trat die Reise nach Österreich an.
Sie kam in einem wirklich bedauernswerten Zustand an, die schönen Dinge des Pferdelebens waren Ihr bis zu diesem Zeitpunkt verborgen geblieben. Sie kannte weder Pferdeleckerlis, noch fand sie Ihr Müsli im Futtertrog, da sie so etwas einfach noch nie bekommen hatte.
Ruby war als Reitpferd eigentlich vollkommen ungeeignet, eine Ausbildung hatte sie nie genossen, und an vielen Tagen schmerzten sie die Beine so, daß sie kaum aus der Box kriechen konnte.
Trotzdem war Frauchen zuerst zufrieden mit der Neuerwerbung, und dank Müsli, Wiesencobs und richtigem Hufbeschlag ging es bergauf mit Ruby. Das Bäuchlein wuchs, und an Ihren guten Tagen genoß Ruby es, über die Stoppelfelder zu galoppieren. An den schlechten Tagen stand sie mit Ihrer neugewonnenen Freundin auf der Koppel und ließ den Tag an sich vorüberziehen. Man hätte fast glauben können, Ruby hätte endlich mal Glück gehabt im Leben.
Aber Ruby lernte leider schnell. Sie lernte schnell, wann und wo es Fressen gab, und sie lernte schnell, daß Frauchen eigentlich gar nicht reiten konnte, und daher ihrem Widerwillen, mit dem schweren Klotz am Rücken Ihre Runden zu drehen, nicht viel entgegenzuhalten hatte. Also ging Ruby nur mehr dann mit zum Ausritt, wenn Ihre Pferdefreunde mit dabei waren. Alleine mit Frauchen bewegte sich Ruby einfach gar nicht mehr, sei es, weil Ihre Beine schmerzten, sei es, weil sie alleine Angst hatte, oder weil sie einfach nur stur war.
Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Frauchen hatte keinen Spaß mehr mit dem Pferd, das nicht so einfach funktionierte wie ein Fahrrad, und somit wurde Ruby überflüssig. Also weg damit.
Ob es aus tierärztlicher Sicht vertretbar war, Ruby zu reiten, wissen wir nicht. Ein Tierarzt wurde nie zu Rate gezogen, denn der hätte ja wohl Geld gekostet. Ihr Ende hat Ruby nicht so gefunden, wie sie es verdient hätte: zu Hause im Stall in der gewohnten Umgebung eingeschläfert zu werden, war ihr nicht vergönnt.
Sie hat Ihren letzten Weg zum Schlachter angetreten: noch mal die Rampe rauf, auf ins Ungewisse. Wir hoffen, daß Ihr Schicksal sie wenigstens nicht nach Italien, sondern zum nächsten Schlachthaus geführt hat. Vielleicht hat ihr ja noch mal ein netter Mensch die Mähne gekrault.
Ich konnte ihr nicht helfen, und ich hab ihr auch nicht geholfen, als es eigentlich geboten war. Der letzten und wichtigsten moralischen Verpflichtung eines jeden Pferdehalters ist weder Frauchen, noch sonst jemand nachgekommen: gemeinsam auf eine würdevolle Weise Abschied zu nehmen.
Für Ruby ist es jetzt vorbei, hoffentlich. Auf diese Weise sei ihr ein kleines Denkmal gesetzt, vielleicht gibt die Geschichte ja dem einen oder anderen zu denken.
Ruby, wir behalten Dich jedenfalls in bester Erinnerung!