"Gene werden im Sport häufig überbewertet"
Andrea Petkovic (Ex-Tennisprofi, Autorin, Mentorin): „Der Begriff des Talents im Tennis hat sich geändert. Das sieht man bei Novak Djokovic. Andere mögen schöner spielen, aber er ist zum Beispiel in der Lage, sich immer anzupassen. Ich habe eine sehr gute Karriere gehabt, aber was ich mir als Kind erträumt habe, habe ich nicht geschafft. Dafür war ich nicht gut genug und hatte nicht genug Talent. Tennis ist ein komplexer Sport, bei dem man versucht, jeden Parameter zu trainieren. Ich habe zum Beispiel eine sehr hohe Konzentrationsfähigkeit, die ich als junge Spielerin entwickelt habe. Im Tennis trainieren Frauen nicht weniger oder werden anders belastet. Wir trainieren vielleicht im Kraftraum mit anderen Gewichten, die Intensität ist aber gleich. Dennoch können Frauen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gegen Männer auf dem Höhepunkt nicht gewinnen, weil diese viel kraftvoller und mit mehr Rotation spielen. Wenn im Boxen ein Schwergewichtler gegen einen Fliegengewichtler kämpft, wird er wohl gewinnen. Deshalb ist er noch nicht der bessere Boxer. So ähnlich ist es im Tennis auch. Die heutige Tennisspielerin ist eine Athletin durch und durch. Der Trend im Tennis ist bei den Männern ein anderer. Sie werden deutlich schlanker und haben weniger Gewicht. Eine entscheidende Rolle spielt natürlich das Selbstbewusstsein. Die Besten der Welt sind alle mental stark. Da kann man sicher spielerisch mehr herausholen. Ich habe immer beobachtet, dass Jungs und Männer offen in den Wettkampf gehen. Mädchen und Frauen sind da eher zurückhaltend. Ich wollte immer unbedingt gewinnen. Aus meiner Sicht ist das auf dem Platz eine viel gesündere Atmosphäre. Da habe ich gemerkt, welche große Rolle die Sozialisierung und das Selbstvertrauen spielt.“
Univ.-Prof. Mag. Dr. Markus Hengstschläger (Genetiker, Autor): „Gene werden im Sport häufig überbewertet, aber sie sind sicherlich nicht irrelevant. Es geht darum, Potenziale auszuschöpfen. Natürlich gibt es genetisch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Die entscheidende Frage ist: Wie viel ist genetisch veranlagt? Was löst die Umwelt aus? Überwiegend geht es um Sozialisierung, die Umwelt und die Gesellschaft. Wenn zwei Menschen gleich viel trainieren, dann können die Gene den Unterschied machen. Es gibt eine Brücke zwischen dem Training und der Genetik. Das Training, die Ernährung und der psychische Zustand des Athleten spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, welche Gene, die wir haben, auch verwendet werden. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Dinge nicht gegeben sind, sondern dass entscheidend ist, was wir draus machen. Eine Frauensportart ist eine Frauensportart, weil wir glauben, dass es eine Frauensportart ist. Das spielt sich alles im Kopf ab und hat mit gesellschaftlichen Einflüssen zu tun. Am wichtigsten ist aber das Selbstwertgefühl, und da gibt es einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Das hat mit Genen überhaupt nichts zu tun. Und das müssen wir ändern.“